Ein erschöpftes Seufzen drang über Satoshis trockene Lippen, als er sich müde auf den Besenstil stützte und seinen Blick durch das beinahe menschenleere Café gleiten ließ. Obwohl sich der Tag nun doch schon langsam aber sicher dem Mittag zuwandte, war der junge Barista auch nach seiner zweiten Tasse Kaffee noch nicht richtig wach. Er hatte zwar gewusst, dass er heute zusammen mit seinem älteren Kollegen die Frühschicht übernehmen musste, doch hatte er es gestern einfach nicht geschafft, sich vom Bildschirm seines Laptops loszueisen, während er ein Katzenvideo nach dem anderen anklickte, stets mit der entschlossenen Parole auf den Lippen, dass das nächste Video sein letztes für heute sein würde. Tatsächlich war Satoshis Begierde nach süßen, knuffigen und puffigen Katzenbabys wohl erst dann gestillt gewesen, als ihm noch im Bürostuhl vor lauter Müdigkeit die Augen zugefallen waren. Besonders gut geschlafen hatte er nicht. Wie denn auch? Die Tastatur war kein sonderlich guter Ersatz für Satoshis flauschig weiches Kopfkissen und noch dazu hinterließ sie wirklich unschöne Muster in seinem Gesicht. Satoshi gähnte leise und stellte den Wischmop zurück hinter die Theke. Ob es all das wirklich wert gewesen war? Ein letztes Mal wanderten Satoshis Gedanken zu den kleinen, fiependen Fellbällchen, die mit großen, neugierigen Augen in die Kamera geblickt und sein Herz im Sturm erobert hatten. Verdammt ja, natürlich war es das wert gewesen!
Just in diesem Moment klingelte das kleine Glöckchen an der Tür und kündigte die Ankuft neuer Gäste an. Mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen rieb Satoshi sich den letzten Schlaf aus den Augen und drehte sich dann zu seinen beiden Gästen um. „Herzlich Willkommen im Café Tortensofa! Mein Name ist Satoshi Horada, zu Ihren Diensten!“, verkündete er fröhlich und blickte den Jungen und das Mädchen wartend an. Nun, vor allem das Mädchen. Das schönste an diesem Job war immerhin, dass Satoshi die Bekanntschaft vieler Jugendlicher in seinem Alter machte. Mit gerade einmal zwanzig Jahren fiel es dem Barista ausgesprochen leicht, einen Draht zu seinem Klientel zu finden, das zu fast 70% aus Schülern und Schülerinnen bestand.

Kaum dass der Begriff Jiyu Academy fiel, nickte Satoshi und wollte den charmanten jungen Herren bereits mit einer Geste um Geduld bitten während er das Päckchen holte, jedoch hielt Satoshi inne, als die junge Dame sich in aller Seelenruhe eine Zigarette anzündete. Nerven hatte die... und lesen konnte sie wohl auch nicht. Unbeirrt zwang Satoshi sich dennoch zu einem höflichen Lächeln, als er Lexi vorsichtig auf ihr Fehlverhalten aufmerksam machte. "Ich muss leider darauf hinweisen, dass Rauchen in diesem Café verboten ist. Ich muss darum bitten, die Gesundheit unserer Gäste zu respektieren und diese Zigarette entweder auszumachen oder das Lokal zu verlassen, junge Dame." Eines stand zumindest fest: das Päckchen würde er ganz gewiss nicht holen, ehe diese Zigarette aus dem Café verschwunden war. "Ich benötige überdies eine Unterschrift von Ihnen beiden, am besten mit einer Telefonnummer, falls wir Sie noch einmal kontaktieren müssten", fügte Satoshi hinzu, als er einen Notizzettel auf den Tresen legte und Lexi einen Kugelschreiber in die Hand drückte.

Mit einem zufriedenen Ausdruck auf dem jungen Gesicht bedankte Satoshi sich höflich bei der jungen Dame für ihr Entgegenkommen, ehe er Traces Worte mit einer erhobenen Hand quittierte, um die beiden Teenager um einen kurzen Moment Geduld bat. „Heute Morgen haben wir ein Päckchen für euch beide bekommen, ich hab es hier unter den Tresen gepackt. Einen kurzen Moment, bitte“, vertröstete er die beiden mit einem charmanten Zwinkern, ehe er nach der Tüte mit den CD-Hüllen und der kleinen Schatulle suchte. „Aha!“, rief er freudig aus, als er fand, was er suchte und den beiden Schülern die Gegenstände präsentierte: vier CD Hüllen und eine kleine Pappschachtel mit einem dubiosen Gegenstand, dessen genauen Nutzen Satoshi selbst nicht wirklich ein Begriff war. „Die Hüllen sind leer, ich hab nachgeguckt. Keine Ahnung, was ihr damit anfangen sollt. Die Alben sind eigentlich relativ neu, eben erst frisch in die Charts gekommen, aber ohne Datenträger bringt euch das nicht viel, was? Komischer Kauz euer Lehrer oder wer auch immer das war“, kommentierte Satoshi schulterzuckend, als er die Pappschachtel öffnete und den beiden das flache, faustgroße Holzstück in Form eines abgerundeten Dreiecks präsentierte. Nicht, dass das nicht schon eigenartig genug wäre, nein: es hatte auch noch ein münzgroßes Loch in der Mitte. „Und wenn die leeren CD-Hüllen nicht schon nutzlos waren, dann ist das hier erst recht nutzlos, wenn ihr mich fragt“, sagte Satoshi, als er die Pappschachtel nach der kurzen Präsentation wieder schloss. „Keine Ahnung, was ihr damit anfangen sollt, ich sollte euch die Dinger nur übergeben. Euer Lehrer meinte allerdings, dass das ziemlich wichtig wäre und ihr das später dringend brauchen würdet“ In Satoshis Augen war das hier wirklich das wohl nutzloseste Päckchen, das er jemals zugestellt hatte. Es war ihm schleierhaft, wie auch nur irgendjemand dieses Sammelsurium an Nutzlosigkeiten jemals dringend brauchen könnte, wofür auch immer. „Nun... vielleicht ergibt sich der Sinn dieses Päckchens ja noch für euch, wenn ihr die anderen Aufgaben löst, hm? Oh, und euer Lehrer hat gesagt, dass ihr euch etwas aussuchen dürft, wenn ihr Hunger oder Durst habt. Oder auch nur als Proviant für den heutigen Tag. Bezahlt ist es schon, keine Angst“, fügte er mit einem aufmunternden Lächeln hinzu.

Mit geübter Geduld verkniff Satoshi sich einen weiteren Kommentar zu Lexis Zigarettenopfer - er wusste, dass es sinnlos war, mit einem schlecht gelaunten Teenager zu diskutieren, er war schließlich selbst lange genug einer von ihnen gewesen - und erwiderte stattdessen: "Einmal Kaffee und Kuchen, kommt sofort!" Bewaffnet mit Kuchenheber und makellosem weißem Geschirr mit eingeprägtem Lokallogo öffnete Satoshi die Glasvitrine und hob vorsichtig ein Stück des bereits teilweise vorgeschnittenen Schokoladenkuchens auf den Teller. Nachdem er noch einen kleinen Klecks frischer Schlagsahne und eine Cocktailkirsche auf dem Kuchen drapiert hatte, zückte er eine feine Kuchengabel und legte sie auf den Teller. Kaum dass er den Teller auf dem Tresen abgestellt hatte, wandte Satoshi seine Aufmerksamkeit nun Lexi zu. "Einfach nur einen normalen Kaffee? Schwarz? Mit Zucker? Wir haben auch verschiedene Sirupe zur Auswahl: Vanille, Haselnuss, Ahornsirup, Karamell, Schokolade...", fragte der Barista, während er bereits die gerösteten Kaffeebohnen in die elektronische Mühle gab. Auf Traces Frage jedoch konnte der junge Angestellte leider keine genaue Auskunft geben. Entschuldigend blickte er seine beiden Gäste an, während die Bohnen mit einem angenehmen Gräuschpegel zermahlen wurden. "Nun, wie schon gesagt... mir wurde gesagt, dass ihr diese Gegenstände später dringend brauchen werdet. Ich weiß nicht sehr viel über die Veranstaltung heute, aber so wie ich eure Schule kenne, müsst ihr vermutlich ab und an ziemlich um die Ecke denken. An meiner alten Schule haben wir auch mal so eine Rallye gemacht. Wir sind von Punkt A nach Punkt B gegangen, um einen bestimmten Gegenstand zu bekommen, für den wir an Punkt C noch das nötige Zubehör einsammeln mussten, damit der Gegenstand überhaupt funktionierte. Und mit diesem Gegenstand konnten wir dann das Rätsel an unserer ersten Station lösen. Diese Aktionen sind teilweise fast so frustrierend wie jedes Horror Survival Game, wenn ihr mich fragt", erwiderte er mit einem belustigten Lachen. "Ich schätze, wenn ihr jetzt nicht weiterkommt, dann solltet ihr erst einmal mit einer anderen Aufgabe weitermachen. Vielleicht ergibt sich ja dann der tiefere Sinn dieser Gegenstände. Was auch immer dieses komische Holzding sein soll."

Nachdem Satoshi auch den Wünschen der jungen Dame pflichtbewusst nachgekommen war und ihr einen simplen schwarzen Kaffee nach ihren Vorlieben serviert hatte, lehnte sich der junge Mann lässig gegen die Theke und wartete geduldig auf das Geschirr, einen neuen Kunden oder eine weitere Frage. Im Grunde genommen war jegliches Wissen, das er besaß, bereits vermittelt, doch geizte Satoshi trotz seines jungen Alters nur selten mit altklugen Ratschlägen. Eine Eigenschaft, die nicht nur seine Freunde, sondern auch seine Kollegen des öfteren in den Wahnsinn trieb. Umso mehr freute der junge Barista sich darüber, zur Abwechslung mal zwei willige Hörer gefunden zu haben. "Ach kommt schon, ihr beiden. Geht doch mal ein bisschen positiver an die Sache ran und macht euch nicht so runter. Fakt ist doch sowieso, dass ihr die kommenden Stunden aufeinander hocken werdet und ich kann euch garantieren, dass diese Zeit weitaus erträglicher sein wird, wenn ihr euer Kriegsbeil begrabt. Ihr solltet eure schlechte Laune nicht aneinander auslassen. Geht unschuldige Passanten nerven", schlug Satoshi den beiden grinsend vor. Und wenngleich wohl ein kleines Fünkchen Wahrheit in seinen Worten steckte, so war dennoch sehr fraglich, inwiefern es moralisch vertretbar war, seinen Frust an wildfremden Menschen auszulassen. "Wie auch immer, ich wünsche euch beiden jedenfalls noch viel Spaß und Erfolg bei eurem kleinen Abenteuer. Wenn ihr Hilfe braucht, ich bin bis drei Uhr im Dienst", bot er seinen beiden Gästen an, während er zu einem Geschirrtuch und einem Glas griff, um es nebenbei ein wenig zu polieren.